Hospitation im Audience Engagement Team der Rheinischen Post
Ja, wir schreiben bei Mediavanti. Aber mich reizte schon immer die Kommunikation ganzheitlich anzusehen – auch visuell und auditiv. Für ein Uni-Seminar habe ich zwar ein Radio-Feature konzipiert, aufgenommen, gesprochen und geschnitten. Das ist aber einige Jahre her und hatte einen wissenschaftlichen statt nachrichtlichen Hintergrund. Darum war klar: am besten von denen lernen, die es können.
Gesagt, getan. Zwei Wochen Hospitation bei der Rheinischen Post in Düsseldorf, genauer gesagt: bei RP Online. Noch genauer: im Team Audience Engagement.
Hier geht es, wie der Name schon sagt, darum, wie sehr sich das Publikum beteiligt, einbringt, mitmischt. Heißt: Wie viele Kommentare, Shares, Likes generiert ein Posting oder ein Artikel? Was machen die Menschen – ignorieren? Kommentieren? Teilen? Diskutieren?
Community Management oder: Was ist mit den Menschen los?
Es geht hier also um die Konsequenzen und Ziele der Zeitungsmache. Monitoring des bereits bestehenden Traffics, Engagement-Boxen für Abos und Umfragen einbetten. Es geht weg von monodirektionaler Nachrichtenvermittlung hin zu Austausch – auch wenn der nicht selten kaum zu überblicken ist. Und während wir unter anderem in den Kommentarspalten dafür sorgen, dass keine hetzerischen, verleumderischen oder schlicht falschen Aussagen getroffen werden, dass nicht offen beleidigt oder zu Selbstjustiz aufgerufen wird, werden wir gleichermaßen genau deswegen angegriffen. Denn wir schränken die Meinungsfreiheit ein – so zumindest der Vorwurf.
Nach drei Tagen Sichten und Löschen von Facebook-Kommentare zu Geflüchteten, Merkel und den Dieselfahrverbotsklagen der DUH bin ich überwältigt und beschämt – was macht das Netz mit uns? Eigentlich habe ich die sozialen Medien überwiegend als Chance gesehen. Vor allem durch meine Hospitationen, in denen ich mit kritischeren Themen in Berührung komme, wird mir immer bewusster, wie wir online verrohen. Und abstumpfen. Ich bin ein Stück weit desillusioniert – und habe Respekt vor all jenen, die das täglich (durch-)machen. „The Cleaners“ steht seitdem wieder ganz oben auf meiner „must see“-Liste.
Andere Disziplinen verfeinern den Stil
Und natürlich ging es auch um das, weswegen ich täglich von Köln nach Düsseldorf pendelte: Podcasting. Ich will crossmedial arbeiten – da ist Audio nicht weit. Zuerst mit zu Terminen, bald schon selbst einsprechen und hier und da Tipps, um meine Sprechstimme zu finden. Fortschritte kommen relativ schnell, aber von der Radiostimme bin ich noch meilenweit entfernt. Trotzdem: Radio und Podcast helfen auch den Schreiberlingen unter uns. Weil man gezwungen ist, klarer zu formulieren. Die Infos müssen beim ersten Mal sitzen. Und: Man kommt schneller zum Punkt. Das hilft zu fokussieren.
Das Netz nutzen statt verteufeln
Und dann gibt’s da noch die großen Innovationen, die man erst entdeckt, wenn man Einblicke in die Arbeit anderer gewinnt: Das Listening-Center der RP, für das sie vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. (BDZV) mit dem Nova-Innovation-Awardin der Kategorie „NOVA Produktinnovation“ ausgezeichnet wurden, ist so eine. Ein Recherche-Tool für Lokalredaktionen. Damit analysiert die RP in Echtzeit Themen, Nachrichten und Personen im Netz – und das als erstes Medienhaus Deutschlands. Ein eigenes Monitoring-Tool, das Redaktionen bei der Recherche unterstützt: Jeder Redakteur, in jeder Lokalredaktion, bekommt ein Reporting – täglich, auf ihn und seinen Themenbereich zugeschnitten.
Personen, aber auch Einrichtungen verbreiten Informationen und Statements zunehmend über die eigenen Accounts – sie wenden sich nicht mehr zuerst an die Presse. Darum muss die Presse selbst ran. Wichtig dabei: Entsteht daraus ein datengetriebener Journalismus, der keine Themen mehr setzt, sondern ihnen hinterherrennt? Nicht zwangsläufig. Die Redakteure entscheiden noch immer, setzen Schwerpunkte, arbeiten Geschichten aus. Das Listening Center ist quasi verlängerter Arm, spitzeres Ohr, besseres Auge der Journalisten. Es hilft, die eigene Filterblase zu verlassen und Themen zu finden, auf die die Redakteure selbst – mangels persönlichen Interesses oder Vernetzung – schlicht nicht gekommen wären.
Das beeindruckt. Die RP nutzt das Netz, statt es zu verurteilen. Die Redakteure hören zu, offline wie online. Sie suchen nach Geschichten, wie es Journalisten eben tun. Nur gehen sie dafür nicht mehr nur auf die Straße – sondern auch ins Netz.
Zwei Wochen sind zu kurz, um alles erfassen zu können, aber sie geben einem ein Gefühl dafür, was im Journalismus möglich ist. Und scheinbar ist das eine ganze Menge – zumindest in Düsseldorf.
Medientipp:
Nicht umsonst sitzt Daniel Fiene, Leiter des Audience Engagement Teams der RP, in der Jury für den Grimme Online Award. Sein wöchentlicher Podcast „Was mit Medien“ (gestartet 2004) läuft inzwischen bei Deutschlandfunk Nova unter „Eine Stunde Was mit Medien“.