„Ein gutes Interview führt man, indem man kein Interview führt“

4 Interview-Tipps vom Chefredakteur

Es ist mein zweiter Praktikumstag bei Mediavanti, als es an der Tür klingelt. Draußen steht der Fotograf und Gast einer Sonntagsmatinee, die wir im Rahmen der World-Press-Photo-Ausstellung organisieren. Als Mann des Opportunismus wittert Agentur-Chef Claus Spitzer die Chance für eine spontane Berichterstattung: Wie wäre es mit einem Interview? Mit Aufnahmegerät und Notizblock ausgerüstet befragen wir, die Praktikantin und die Volontärin, den Fotografen zu seiner Arbeit. Zuhören, Notizen machen, einlenken, wenn das Gespräch zu ausschweifend wird – wir interviewen wie die Weltmeister. Danach fragen wir uns trotzdem: Haben wir alle Regeln der Kunst befolgt? Wir bitten Claus Spitzer – ironischerweise – zum Interview und wollen wissen: Wie arbeitet ein erfahrener Agentur- und Redaktionsleiter? Hier seine wertvollsten Anregungen:

1. Kein Interview führen

Ein richtig gutes Interview führt man, indem man kein Interview führt. „Ich möchte mein Gegenüber ja ins Erzählen bringen“, erklärt Claus Spitzer. „Und das passiert am ehesten, wenn ich mich von meinem Fragenkatalog verabschiede.“ Wenn aus einer angespannten Interviewsituation ein interessantes Gespräch entsteht, ist also viel gewonnen. „Die Antworten“, meint der Agentur-Chef, „sind dann spontaner, ehrlicher und überraschender“. Damit das Gegenüber aus sich herauskommt, dürfe man ruhig auch mal provokante Fragen stellen, findet er. Einsteigern empfiehlt er, das Gespräch langsam in Schwung kommen zu lassen. Dazu würde es sich beispielsweise anbieten, Fragen zur Person oder zu aktuellen Projekten zu stellen. Eine Frage wie „Woran arbeiten Sie gerade eigentlich?“ bringt den Gesprächspartner ins Reden und leitet das Gespräch locker ein.

2. Empathie beweisen

„Nur weil ich mir ein lockeres Gespräch wünsche, heißt das noch lange nicht, dass es auch entsteht“, merkt Spitzer kritisch an. Es braucht also viel Einfühlungsvermögen, um die Interviewpartner und die Situation richtig einschätzen zu können. Der Agentur-Chef erzählt von Interviewpannen, in denen provokante Fragen nicht für den erhofften Schwung, sondern für ein erstarrtes Gegenüber sorgten: „Das Gespräch war dann eigentlich gestorben“, erzählt er. Ein kurzes Telefonat im Vorfeld kann helfen herauszufinden: Was geht und was geht nicht? Möchte der Interviewpartner den Fragebogen vorab sehen, könne man sich zum Beispiel auf eine klassische Frage-Antwort-Situation einstellen und den Interviewpartner auf diffizile Themen aufmerksam machen.

3. Gut vorbereiten

Deutlich wird, dass sich Claus Spitzer gut vorbereitet. Ob lockeres Gespräch zur Biografie oder strukturiertes Experteninterview – ein grober Fahrplan hilft immer als Orientierung. Der Agentur-Chef gliedert das Gespräch gedanklich in drei große Themenblöcke: „in Schwung kommen“, „einsteigen“ und „aussteigen“. Im ersten Block werden lockere Einstiegsfragen gestellt, im zweiten Part taucht er tiefer in das Thema des Interviews ein und schließlich moderiert er das Gespräch wieder ab. „Ein gutes Ende“, meint er, „ist Gold wert“. Es liege am Interviewer, das Gesprächsende anzudeuten („Als letztes würde ich gerne wissen…“) und einzuleiten. Gibt es offene Fragen oder letzte Anmerkungen? Ein gutes Interview ist eine runde Sache.

4. Stille aushalten

Was, wenn man seinen Interviewpartner nicht persönlich treffen kann? Für Telefon-Interviews hat Claus Spitzer vor allem einen Tipp: „Die Stille nicht als Feind verstehen.“ Es kann vorkommen, dass der Gesprächspartner schneller spricht, als Notizen gemacht werden können. Dann sollte man nicht in Panik geraten, sondern die Person am anderen Ende der Leitung darüber informieren, dass man nicht eingeschlafen ist, sondern das Gesagte notiert. Gesprächspausen auszuhalten versteht der Agentur-Chef auch in Face-to-Face-Situationen als essenziell. „In den zehn Sekunden des Schreibens hat mein Gegenüber kurz Zeit nachzudenken“, meint Spitzer. „Und manch einer hat genau dann den besten Gedanken.“

Wie geht das eigentlich, das richtige Interview? Claus Spitzer hat seine vier wertvollsten Tipps geteilt: Das Interview als Gespräch verstehen, Empathie beweisen, das Gespräch gedanklich strukturieren und Stille aushalten können. Wir sind gewappnet für das nächste Ad-hoc-Interview in der Redaktion!

Autorin: Clara Tischer

© Foto: Clara Tischer

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Redaktion Mediavanti

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