Mit Analyse-Tools abgegriffenen Ausdrucksweisen auf der Schliche

Zwei Journalisten analysieren auf www.floskelwolke.de den Sprachgebrauch auf Websites ausgewählter deutscher Medien. Im Mittelpunkt steht das Aufspüren bekannter Floskeln, die in drei Kategorien eingeteilt wurden. Was als kleine Spielerei begann, ist inzwischen einem größeren Publikum bekanntgeworden. Zuletzt gab es sogar eine Nominierung für den Grimme Online Award. Wie machen Udo Stiehl und Sebastian Pertsch das? Und was bringt es überhaupt?

Ein Text schreibt sich durchaus einmal wie von alleine, manchmal ringt man als Autor aber auch um jedes Wort. Was nützt die schönste Geschichte, wenn sie sich nicht erzählen lässt, weil das Sprachzentrum gelähmt zu sein scheint? So groß die Not auch sein mag: Sie sollte nie zur Verwendung abgegriffener Standardformulierungen führen.

Unter anderem, weil Udo Stiehl und Sebastian Pertsch den Autoren und ihren Texten genau auf die Finger schauen. Beziehungsweise: Sie lassen schauen. Mit Analyse-Tools werden 1972 deutschsprachige Medien und Channels zweimal täglich auf die Verwendung von 100 ausgewählten Floskeln hin untersucht. Daraus entstehen zwei Grafiken, die einerseits die meistverwendeten Floskeln abbilden und andererseits die mit dem größten Wachstum gegenüber dem vorherigen Analysezeitpunkt herausstellen. Veröffentlicht werden sie jeweils um 7 und um 19 Uhr.

Drei Kategorien von Gelb bis Rot

Auf der Website der beiden lässt sich nachlesen, welche 100 Floskeln herausgefiltert werden – und warum. Drei Kategorien gibt es: gelb, orange und rot.

Gelb: Sprachbilder, „die keinen Schaden anrichten“, aber abgenutzt seien. Beispiele: „aus dem Fenster lehnen“ oder „grünes Licht“.

Orange: Begriffe, die „ein schiefes Bild zeichnen“ oder gar „sachlich falsch“ sind und damit „die Glaubwürdigkeit untergraben“ könnten. Das gilt nach Meinung von Stiehl und Pertsch beispielsweise für den „Geisterfahrer“ oder die Formulierung „positiver Erfolg“.

Rot: all das, was „Zusammenhänge verschleiern“, „Sachverhalte beschönigen“ oder „Meinungen beeinflussen“ solle. Klares Urteil der Floskelwolken-Erfinder: Begriffe und Formulierungen dieser Kategorie haben in Nachrichtentexten – und um genau die geht es hier – nichts verloren. „Alternativlos“, „an den Rollstuhl gefesselt“ und „Flüchtlingssaison“ sind drei Beispiele von vielen.

Phrasen-Checker und Bullshit-Bingo

Die Floskelwolke liefert übrigens auch praktische Hilfe: Im Phrasen-Checker können ganze Texte auf Begriffe der drei Kategorien überprüft werden, zudem lässt sich das Bullshit-Bingo ausdrucken und im Büro aufhängen. Wer bei einem Text mal wieder „in den Startlöchern“ steht, kann das Sprachbild „zeitnah“ korrigieren.

Im Fokus: Sensibilisierung für Sprache

Gewiss lässt sich über Methodik und Auswahl der Medien und der 100 Formulierungen streiten; so warf Felix Hügel den Machern in einem Blog-Beitrag eine unausgereifte Selektion der Quellen vor. Allerdings haben die beiden Initiatoren, die nach eigener Aussage gut zehn Stunden pro Woche für das Projekt aufwenden, keine Gesetze formulieren wollen – und zeigen sich offen für Kritik. Die Sensibilisierung für Sprache steht im Fokus der Floskelwolke, und wer sich regelmäßig oder gelegentlich mit den Veröffentlichungen befasst, wird beim nächsten Text wohl noch einmal etwas genauer hinschauen, ob nicht doch ein schiefes Bild oder eine abgegriffene Formulierung in die Zeilen gerutscht ist.

Ausgezeichnete Floskelwolke

Das Projekt von Udo Stiehl und Sebastian Pertsch wurde erst kürzlich ausgezeichnet: Mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik ehrt der Vorstand der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. Personen oder Institutionen, die sich auf originelle und ausgewogene Weise kritisch mit dem Journalismus auseinandersetzen – die Floskelwolke erhielt den Preis im Juni 2015. Und auch für den Grimme Online Preis waren Stiehl und Pertsch nominiert.

Was denken Sie über die Floskelwolke? Sprachpolizei, Spielerei oder nützliche Unterstützung? Wir freuen uns auf Ihre Meinung.

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Redaktion Mediavanti

Redaktion Mediavanti

Das Mediavanti-Team verändert sich regelmäßig in seiner Besetzung. Unter anderem liefern Praktikant:innen und Hospitant:innen immer wieder neue, spannende Perspektiven auf Themen, die uns im Alltag umtreiben. Uns freut's, denn: Hier darf und soll jeder etwas sagen!

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