Großunternehmen und Start-ups

Bei Gründungen gemeinsame Sache machen

Immer öfter lautet die Antwort „Ja!“. Tatsächlich können beide voneinander profitieren. Welche unterschiedlichen Modelle der Kooperation es gibt, zeigt das Engagement Oldenburger Firmen.

Felix Thalmann schaut gern über den Tellerrand – gerade wenn es um Zukunftsthemen geht. „Die großen Hotelkonzerne ärgert es heute maßlos, dass ihnen so etwas wie Airbnb nicht selbst eingefallen ist“, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Büfa-Holding. Oder der Online-Vermittlungsdienst für Fahrdienstleistungen Uber. „Die revolutionieren das ganze Taxigeschäft, aber von den klassischen Beförderungsfirmen ist niemand darauf gekommen.“

Unternehmen, die den Anschluss verpassen, sind dem Manager ein Greuel. Es reiche längst nicht mehr, sich in Ruhe um sein Kerngeschäft zu kümmern. Vielmehr sei ein regelmäßiger Blick nach links und rechts des Weges gefragt, um zu wissen, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Sonst werde das eigene Modell eines Tages womöglich nicht mehr funktionieren. „Man ist schneller aus als auf dem Markt.“

Indikator Gründerszene

Der aus Zürich stammende Thalmann empfiehlt als Gegenmittel, das Geschäftsumfeld genau zu beobachten und zudem die Gründerszene im Blick zu behalten. Sie sei ein guter Indikator für Entwicklungen – auch für Büfa. Der Mittfünfziger, der das Traditionsunternehmen seit dem 1. Januar 2014 führt, zeigt sich überzeugt, dass die wirklich großen, radikalen Innovationen nicht aus dem eigenen Haus kommen können. „Wir sind etabliert, Prozesse haben sich eingeschliffen, die Kunden hegen ihre Erwartungen und es gibt Konventionen, an die wir uns halten müssen“, räumt er ein. Das ließe sich nicht alles über den Haufen werfen. Ein junges Start-up sei da unabhängiger und unbefangener, sorge für frische Impulse von außen.

Konsequenz für Büfa: Das Unternehmen engagiert sich in der Gründerszene und arbeitet eng mit dem High-Tech Gründerfonds (HTGF) zusammen, Deutschlands aktivstem und größtem Frühphaseninvestor. Ferner, so Thalmann, denke er zur Sicherung der eigenen Zukunftsfähigkeit über sogenannte Side-Investments bei Gründungen nach, die die eigene Technologie ergänzen bzw. überarbeiten können.

Felix Thalmann: „Wir, die etablierten Unternehmen, müssen lernen, wieder mutiger zu agieren“ Foto: BÜFA

Präsentation auf Schienen

Mit ihrem Engagement stehen die Oldenburger nicht allein da. Immer mehr Großunternehmen suchen die Zusammenarbeit mit Start-ups – in fast allen Branchen. Dabei sind die Strategien unterschiedlich. Beispiel Siemens: Die Münchner unterhalten weltweit „Technology to Business Center“, um frühzeitig Innovationen erkennen und fördern zu können. SBB, die Eisenbahngesellschaft der Schweiz, lud mehrere Gründer zu einem „Railpitch“. Im fahrenden Zug sollten sie ihre Ideen präsentieren. Auf großes Interesse stieß etwa das Start-up parkit.ch. Seine Gründer entwickelten später eine App, mit der sich an Bahnhöfen Parkplätze suchen, finden, direkt bezahlen und falls nötig auch verlängern lassen.

Der Erfolg solcher Kooperationen ist belegbar. Für eine aktuelle Studie wurden in 50 Ländern 400 ausgewählte Entscheider aus Konzernen und Start-ups zu ihren Erfahrungen interviewt. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Lediglich drei Prozent der Unternehmen und vier Prozent der Start-ups haben bislang noch nicht über Partnerschaften nachgedacht und wollen dies auch zukünftig nicht tun. Vier von fünf Unternehmen sind der Ansicht, dass die intensive Zusammenarbeit ein zentraler Treiber für die digitale Transformation in ihren Häusern sei und in fünf Jahren 18 Prozent des Umsatzes direkt daraus resultieren würden.

Die Studie brachte allerdings auch zutage, dass viele Start-ups Vorbehalte gegenüber einer zu engen Bindung an etablierte Partner haben. So wurden in Bezug auf Großunternehmen häufig Begriffe wie „langsam“, „bürokratisch“ und „groß“ genannt. Darin dürfe kein Hindernis liegen, sagt Dr. Nicolai Schättgen von Match-Maker Ventures, dem Auftraggeber der Untersuchung. „Start-ups sollten sich bewusst sein, dass Konzerne langsamer sind und sein werden. Konzerne werden nie zu Start-ups werden, doch sie haben viele andere Stärken, die es besser zu nutzen gilt.“

Relevanz fürs Kerngeschäft

Dr. Christian Horneber stimmt dieser Aussage zu. Der 39-Jährige ist Senior Beteiligungsmanager bei NWZ Digital. Das zur NWZ Mediengruppe gehörende Unternehmen ist zurzeit an 15 Start-ups beteiligt, einige mehr können es noch werden. Welche Gründungen interessieren den Wahl-Oldenburger? „In erster Linie müssen sie bereits eine gewisse Reife haben“, erklärt er. Wer gerade erst seine Idee ausbrütet, kommt zu früh für ihn. „Das Produkt sollte stehen, erste Umsätze wären nicht schlecht und es muss eine Relevanz für unser Kerngeschäft geben.“ Also alles, was sich rund um die digitale Wertschöpfungskette eines Medienhauses platziert. Man verstehe sich als strategischer, nicht als Finanzinvestor. Eine Beteiligung an Uber hätte Horneber für NWZ Digital darum wohl nicht erwogen. „Das hätte nicht zur Investmentlinie gepasst – Uber ist einfach zu weit weg von unserem Kerngeschäft als Medienhaus.“

Wenn aber die Voraussetzungen stimmen, dann wird über ein Engagement bei dem Start-up verhandelt. „Beim Ersteinstieg liegen wir etwa bei 400.000 bis 500.000 Euro, gelegentlich geht es auch in den siebenstelligen Bereich – klassische Series A-Runden also.“ Aber: Das alles ist kein Sponsoring und kein Mäzenatentum. Natürlich will man in der Peterstraße substanziell Geld verdienen. So wie vor drei Jahren. Die Plista GmbH, an der NWZ Digital beteiligt war, hatte eine innovative Lösung für Mobile- und Internetwerbung entwickelt. Mit der britischen WPP Group fand die weltgrößte Werbeholding daran so viel Gefallen, dass sie das Unternehmen schließlich kaufte.

Seinen Job findet Christian Horneber extrem reizvoll. Es sei normal, meint er, dass er morgens ins Büro komme und nicht im Voraus genau wisse, was über den Tag hinweg alles passieren wird. Man müsse immer mit Überraschungen rechnen und schnell reagieren können. Etwa 90 Prozent der eingehenden Anfragen sage er ab, rechnet er vor. Wichtigste Gründe: fehlende Reife und der Umstand, dass Idee und Investmentstrategie nicht in Einklang zu bringen sind.

Christian Horneber: „Wir kennen die Investmentszene und haben einen generellen Blick auf die Märkte, der vielen Start-ups noch fehlt.“ Foto: Bichmann

Austausch mit anderen

Anders sieht es in einem Fall aus, mit dem sich der frühere Gründungscoach am Gründungs- und Innovationszentrum (GIZ) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zurzeit befasst. Das Stuttgarter Unternehmen AX Semantics hat sich mit einer semantischen Software auf die automatische Generierung von Texten spezialisiert. Neben PDV Inter-Media Venture aus Augsburg sowie Müller Medien aus Nürnberg hat NWZ Digital in dieses innovative und zukunftsträchtige Online-Start-up investiert und führte die Finanzierungsrunde als Lead Investor an.

Auch Büfa-Chef Felix Thalmann kann von aktuellen Projekten berichten. Sein Unternehmen hat zwei Sidekicks ausgelagert. Bei der ersten Ausgründung handelt es sich um einen Online-Shop für Reinigungsprodukte, der sich nach seinen Angaben bereits sehr gut entwickle. Bei der zweiten gehe es darum, „unsere Geschäftsmodelle zum Beispiel im Chemiebereich zu digitalisieren“. Um das Start-up aufzubauen wurden ein Teamleiter aus Düsseldorf geholt und Räume im TGO angemietet. „Wir wünschen uns einen intensiven Austausch mit den anderen Firmen dort“, unterstreicht Thalmann.

Ob die Sache am Ende erfolgreich verlaufen wird, weiß der Schweizer nicht. Es interessiert ihn im Moment auch wenig. Wer mit Start-ups arbeitet, kann nicht sofort mit Antworten auf alle Fragen rechnen. Und wird immer ein gewisses Risiko eingehen. Scheitern ist Teil des Programms. Felix Thalmann ist von seiner Strategie überzeugt. „Wir, die etablierten Unternehmen, müssen lernen, wieder mutiger zu agieren“, sagt er. Auch die Entscheidung, loszulassen und Freiraum zu gewähren, gehöre dazu. Natürlich behält er seine Ausgründungen im Blick, doch nun sollen sie erst einmal loslegen. Dann werde man weitersehen.

Mut zum Risiko

Lernen – auch Christian Horneber reagiert auf dieses Stichwort. Im Idealfall, so bestätigt er, profitieren beide Seiten von einer Zusammenarbeit. „Als regionales Medienhaus, das sich gerade verändert, können wir uns eine Menge abschauen von der Geschwindigkeit, in der Start-ups Ideen entwickeln, über den Haufen werfen und dann wieder neu denken.“ Auch beim Online-Know-how seien die jungen Gründer ihnen häufig voraus. Gerade in der Werbetechnologie geht es mit höchstem Tempo voran. „Da lernen wir eine Menge gerade von den Adtech Start-ups, die sich explizit damit beschäftigen.“

Und umgekehrt? Welchen praktischen Nutzen ziehen Start-ups aus der Zusammenarbeit? Büfa setzt vor allem auf Unterstützung durch Kompetenztransfer. Viele Newcomer haben im rechtlichen Bereich Defizite oder brauchen im Personalmanagement Hilfe, weiß Felix Thalmann. Bei seiner Ausgründung, die im TGO eingezogen ist, werden diese Aufgaben vom Mutterhaus übernommen. „Das ist aber kein Misstrauen. Wir wollen, dass sie sich mit ihrem Kernbereich beschäftigen und nicht durch solche Dinge ausgebremst werden.“ Auch die Liquiditätsthematik werde deshalb erst einmal keine Rolle spielen.

NWZ Digital geht in dieser Hinsicht anders vor und hat von Anfang an die Zahlen im Blick. Dass es bei Start-ups oft beim Controlling hake, hat man auch hier erkannt. Christian Horneber: „Wenn wir irgendwo einsteigen, kümmern wir uns sofort um zuverlässiges Reporting. Gutes Beteiligungsmanagement hängt stark von den individuellen KPIs der Start-ups ab, den persönlichen Kontakt ersetzen sie aber nie.“ Es gebe Firmen, mit denen telefoniere er jede Woche zum Stand der Dinge. Dann kommen auch strategische Fragen zur Sprache. „Wir kennen die Investmentszene und haben einen generellen Blick auf die Märkte, der vielen Start-ups noch fehlt.“ Bei zukünftigen Finanzierungsrunden könnten die Kontakte in der Investorenlandschaft eine große Hilfe sein.

Klar ist, dass Großunternehmen und Start-ups nicht immer auf einer Wellenlänge schwingen. Doch egal, von welcher Seite man das Thema betrachtet: Vom Kulturschock, den es mit Sicherheit bei jeder Art von Zusammenarbeit geben wird, will sich niemand abschrecken lassen. Im Gegenteil. Sowohl Felix Thalmann als auch Christian Horneber sind überzeugt, dass die Unterschiede befruchtend wirken können. Gegensätze ziehen sich an.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Form erstmals in Ausgabe 2/2016 des Oldenburger Wirtschaftsmagazins.

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Claus Spitzer-Ewersmann

Claus Spitzer-Ewersmann

Als Geschäftsführer der Mediavanti GmbH unterstützt Claus Spitzer-Ewersmann Unternehmen und Institutionen in (gerne auch einmal unkonventioneller) Kommunikation.

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