Hand in Hand statt Konkurrenzkampf

Was Printjournalismus vom Web lernen kann

Tageszeitungen gehören für Phyllis Frieling einfach nicht mehr zum Morgen dazu. Auch wenn die 23-Jährige Zeitungen mag: Sie passen nicht mehr so richtig. Print stirbt aus, und das Internet ist schuld daran. Oder? So wurde es ihr zumindest seit der Mittelstufe in der Schule erklärt. Dass Print aber gerade vom Web so einiges lernen kann, vielleicht bloß ein wenig umdenken muss, das haben immer alle verschwiegen. Das große, böse Netz macht nicht einfach alles kaputt – wir sollten anfangen, genauer hinzuschauen.

Foto: pexels.com

Noch vor dem ersten Kaffee am Smartphone ausgewählte Nachrichtenseiten überfliegen, erste Artikel durchgehen, nachsehen, was sich in den letzten sechs Stunden in der Welt getan hat, ob der Beitrag von gestern Abend aktualisiert wurde: Das gehört für die meisten von uns zum Morgenritual, oft sogar noch vor dem Aufstehen.

Wir – das sind die Millennials, die Digital Natives, die, die nicht mehr ohne das Internet können. Die, die keine Zeitung mehr lesen – wollen oder müssen?

Immer wieder titulieren Zeitungen offline – und ironischer Weise online – den Rückgang der jungen Leserschaft. Seit ich mir Gedanken über Zeitungen gemacht habe, wurde uns vorgebetet: Die Printzeitung stirbt aus. Und Schuld daran sind nicht nur, wie üblich, „die jungen Leute“, sondern gleich das ganze Konstrukt Internet. Nur – warum eigentlich? Was macht das Internet so viel besser? Oder anders herum: Was sollten sich Printzeitungen und -zeitschriften genauer ansehen?

Früher hieß es „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“, heute ist die Zeitung vom Morgen schon mittags auf dem Weg ins Grab.

Das Internet hat unsere Vorstellung von Zeit geprägt – die tagesaktuelle Zeitung ist alles andere als aktuell. Mein Zeitverständnis ist ein ganz anderes als das meiner Eltern in ihren Zwanzigern: Ich lese mir nicht am Morgen durch, was gestern tagsüber passiert ist – online finde ich Artikel, die mir berichten, was um 4.30 Uhr passiert ist, als ich noch geschlafen habe. Was gestern passiert ist, habe ich auch gestern gelesen.

Zum Amoklauf in München gab es Live-Ticker mit stetigen Aktualisierungen bis weit in die Nacht hinein. In umgekehrt chronologischer Reihenfolge steht ganz oben, was vor zwei Minuten bekannt gegeben wurde, nur eins steht noch weiter oben, in roter Schrift: „aktualisiert vor 4 Minuten“. Ich lese diese Artikel und schreibe gleichzeitig mit Freunden genau darüber, verschicke Links und bekomme welche. Finde ich einen interessanten Artikel, kann ich ihn per WhatsApp gezielt mit einer bestimmten Person teilen und darüber diskutieren.

Wir suchen erst einmal breit nach Infos, denn das Internet hat so viel zu bieten. Punktuell geht’s dann in die Tiefe, je nachdem, was wir lesen möchten, vor allem aber: wo und wann wir es möchten. Kein genervtes Aufatmen vom Sitznachbarn, wenn ich meine überdimensionale Tageszeitung in der überfüllten Straßenbahn raushole – wir lesen am Laptop, Tablet, Smartphone, in der Bahn, im Bus, an Haltestellen und immer dann, wenn wir gerade Leerlauf haben.

Klar, dass die Printzeitung das gar nicht liefern kann. Aber vielleicht muss sie das auch gar nicht: In einer Zeit, in der ich minütlich überall die neuesten Nachrichten abrufen kann – und das kostenlos – hat die Printzeitung einen ganz anderen Reiz: Geschichten erzählen, sich Zeit lassen, Menschen porträtieren, Hintergründe erklären.

Im Netz finde ich nur News-Happen, die mir gerade so viel erzählen, wie ich zwischen Aufstehen und Zähne putzen verdauen kann.

Keine langen Sätze, kein atmosphärisches Schreiben, und ehrlich gesagt kaum journalistisches Handwerk. Weil’s schnell gehen muss und kurzweilig sein soll.

Und genau da können Printzeitungen ansetzen: Mit Journalisten, die eben nicht im Minutentakt die neuesten Bekanntmachungen in die Weite des Internets hinausschreien, sondern sich die Zeit nehmen, mit ihrem Wissen Situationen zu analysieren und ja, auch zu bewerten. Kolumnen und kritische Kommentare, Portraits neben Reportagen und spannenden Features – das ist es, was ich mir vom Qualitätsjournalismus einer Tageszeitung wünsche: Ausführliche und gut recherchierte Hintergrundberichte, die nicht in Konkurrenz zur Online-Meldung stehen, sondern sie erklären, untermauern oder widerlegen. Und das sind Artikel, bei denen es vollkommen in Ordnung ist, wenn sie nicht zehn Minuten vor Redaktionsschluss runtergeschrieben werden, damit sie morgen in der Zeitung stehen.

Wir sind es gewöhnt, dass uns Nachrichten visuell vermittelt werden, in Info-Grafiken und Bildern konsumentenfreundlich aufbereitet.

Ich muss keinen Text querlesen können, um zu wissen, wo für mich die wichtigen Infos sind: Zwischenüberschriften nehmen mir das ab.

Fotos vermitteln die Stimmung, die Atmosphäre. Zugegeben, das alles machen manche Tageszeitungen auch – aber meist erst bei langen Texten, um sie „aufzubrechen“, nicht aber regulär. Und ja, ein gewisses, beständiges Layout zur Strukturierung von Zeitungsseiten und für den Wiedererkennungswert ist wichtig. Aber kreative Seitenaufmachung, untypische Fotoausschnitte und –formate, interessante Typografie und gute Grafiken sind gefordert. Seien wir mal ehrlich: Die meisten Tageszeitungen sehen einfach langweilig aus. Wir lesen sie, weil wir es schon immer tun, oder aus Lokalpatriotismus, nicht aber, weil sie unser Interesse geweckt haben.

Statt auf Althergebrachtes zu pochen und sich zu beschweren, dass „die jungen Leute“ nicht mehr lesen können, sollten Tageszeitungen vielleicht einfach ihren Dienstleistungscharakter (wieder-)erkennen: Sie müssen an Interaktivität und Multimedialität zulegen, um junge Leser zu gewinnen. Und vielleicht endlich in Betracht ziehen, das Format, zumindest in einer zweiten Auflage, den Leseumgebungen ihrer Zielgruppe anzupassen: der Bahn.

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Phyllis Frieling

Phyllis Frieling

Ihre journalistischen Erfahrungen hat Phyllis Frieling unter anderem bei einer lokalen Tageszeitung gesammelt. Sie ist überzeugt: Spannende Geschichten wollen gefunden und erzählt werden. In ihren Texten zeigt die Kulturwissenschaftlerin dank ihrer gedanklichen und analytischen Flexibilität dabei gern neue Blickwinkel auf.

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