Reisejournalismus hat auch im Zeitalter von Facebook seine Berechtigung!

Heute Pakistan, morgen Grönland, bald schon am Yukon in Kanada: Martin Wein ist Reisejournalist. Er berichtet für Zeitungen und Zeitschriften (nicht nur) aus den abgelegensten Winkeln der Welt. Über die Besonderheiten des Berufs berichtet er im Interview.

Reisejournalismus trotz Social Media? Unbedingt, sagt Martin Wein.

Frage: Herr Wein, warum gibt es die Spezies Reisejournalist heute noch? Es kann doch jeder via Internet in Minutenschnelle von seinen schönsten Erlebnissen erzählen und die Bilder posten …

Martin Wein: Nach meinen Eindrücken ist das Interesse an professionellen Reiseberichten trotz all der Blogs und trotz Facebook ungebrochen. Die Leute wollen nicht nur ungefiltert Subjektives lesen, sondern auch fundierte Meinungen über Entwicklungen und Trends. Solche Einordnungen sind aber nur möglich, wenn man über gewisse Erfahrungen verfügt.

Apropos Erfahrungen: Seit wann sind Sie als Reisejournalist tätig und wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert?

Reisen und darüber schreiben, das passt bei mir seit rund 20 Jahren zusammen. Verändert haben sich in erster Linie die Bedürfnisse der Leser. Sie sind viel mobiler geworden und kennen selbst die entferntesten Ecken der Welt aus eigener Anschauung.

Dann ist Ihre Arbeit doch überflüssig …

Nein, gar nicht. Es geht inzwischen vor allem darum, die besuchten Regionen nicht nur zu beschreiben, sondern konkrete Tipps zu geben. Welches Hotel bietet was? Welche Route durch die Berge ist die schönste? Wo finde ich den ursprünglichsten Markt? Dabei gilt es, den richtigen Weg zwischen kommerziellen Interessen, der eigenen Meinung und tatsächlichen Empfehlungen zu finden. Und ganz wichtig: Wir müssen auch immer die politische Lage im Auge behalten. Wenn ich ein Land wie Pakistan (hier geht’s zum Reisebericht) besuche, weiß ich in unserer schnelllebigen Zeit heute leider oft nicht, ob man morgen oder übermorgen wirklich noch dorthin fahren kann.

Wenn die ganze Welt bereits entdeckt wurde, gibt es das klassische Vorstellen eines Reiseziels dann überhaupt noch?

Schon. Aber man muss sehr gezielt danach Ausschau halten, was man dort machen kann. Ich fliege in den nächsten Tagen nach Gomera, werde aber nicht über die ganze Insel berichten, sondern mich auf die Pfeifsprache der Ureinwohner konzentrieren. Die lernen die Kinder dort noch immer in der Schule. Das will ich mir anhören, so dass ich den Lesern von mehr erzählen kann, als nur von den Schönheiten der Insel. Im Sommer war ich am Beringmeer in Alaska (hier geht’s zum Reisebericht) bei einem alten Broadway-Schauspieler, den das Leben dorthin gespült hat. Bei solchen Geschichten ist man immer noch ein wenig Pionier. Das passiert einem übrigens auch in Deutschland oder Europa noch so, wenn man nur die Augen aufmacht. Ich will die Geschichten am Rande aufspüren, die verrückten Typen treffen, die gelebten Traditionen zeigen, die ich nur finden kann, wenn ich mich unter die Leute mische und ihnen zuhöre.

Pakistan ist eines der Länder, die Martin Wein beruflich bereist hat.

Reisen ist teuer, die Honorare für freie Journalisten sind allerdings niedriger denn je. Viele lassen sich deshalb einladen. Wie handhaben Sie das?

Angesichts der Honorare, die viele Zeitungsverlage zahlen, ist es in der Tat schwierig geworden. Dennoch lege ich großen Wert darauf, mir meine Unabhängigkeit zu bewahren. Ich finanziere meine Reisen deshalb zum Teil weiterhin selbst. Wenn ich doch an einer organisierten Pressereise teilnehme, dann mache ich vorab deutlich, welche Themen ich bearbeiten möchte. Auch die Agenturen sind da professioneller geworden. Die Kollegen wissen genau, dass eine spannende Geschichte besser ist als ein blumiger Werbetext.

Sind die festen Korrespondenten, über die viele große Verlage in den meisten Regionen verfügen, eine Konkurrenz?

Da sprechen wir über verschiedene Ansätze. Die Bedürfnisse eines Reisenden sind grundsätzlich andere als die eines Menschen, der in der Region lebt. Korrespondenten haben andere Aufgaben, ihr Blickwinkel unterscheidet sich von meinem. Wenn ich etwa von Kanutouren in Kanada erzählen möchte, dann gehört dazu, wie ich dahin komme, was ich mitnehmen sollte und auf welche Menschen man dort trifft. Dafür brauche ich stets auch ein wenig Distanz und Möglichkeiten zum Vergleich. Ist Paddeln in kroatischen Gewässern vielleicht doch noch ein wenig reizvoller? Ein weiterer Aspekt ist die Neugierde. Wenn ich schon zu lange in einer Region lebe, bin ich nicht mehr offen für neue Entdeckungen. Genau die interessieren aber meine Leser. Und grundsätzlich: Viele Verlage haben ja längst keine festen Korrespondenten mehr!

Sind Sie lieber allein unterwegs oder in der Gruppe?

Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Allein ist es intensiver, in der Gruppe gibt es mehr Austausch. Wichtig finde ich, die eigenen Ideen, die man mit der Reise verbindet, nicht aus den Augen zu verlieren. Konkurrenzdenken habe ich in dieser Hinsicht bislang übrigens nur äußerst selten erlebt. Im Gegenteil: Häufig ergänzt man sich auf eine angenehme Weise.

Gibt es Ziele auf Ihrem Wunschzettel, die Sie unbedingt noch ansteuern wollen?

Oh ja. Mich zieht es grundsätzlich am liebsten in ganz ferne Gegenden, auch in die große Einsamkeit. Beispiel Kanada: Da gibt es etwa einen weitgehend unzugänglichen Nationalpark im nördlichen Labrador, der mich sehr reizt. Auch über die Eisbären in Churchill würde ich gern einmal schreiben. Das sind Themen, mit denen ich etwas anfangen kann.

Wie lange wollen Sie den Job noch machen?

Ich bin noch nicht müde. Wenn ich von einer Reise zurückkehre, habe ich fünf neue Ideen im Kopf. Die Frage ist aber, wie lange es den Reisejournalismus in der jetzigen Form noch gibt und wer ihn bezahlt. Zudem wird er nie mein einziges Betätigungsfeld sein. Ich kümmere mich seit jeher auch um andere, um harte Themen.

Herr Wein, vielen Dank für das Gespräch!

Foto Header: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

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Claus Spitzer-Ewersmann

Claus Spitzer-Ewersmann

Als Geschäftsführer der Mediavanti GmbH unterstützt Claus Spitzer-Ewersmann Unternehmen und Institutionen in (gerne auch einmal unkonventioneller) Kommunikation.

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