Das Quartier – die kleine Heimat in der großen Stadt?

„Oldenburger Wohnforum“ der Wohnbaugesellschaft GSG

Die großen Themen der Stadtentwicklung werden beim „Oldenburger Wohnforum“ der Wohnbaugesellschaft GSG diskutiert. Bei der zweiten Ausgabe Anfang Juni ging es um die Frage, wie Quartiere beschaffen sein müssen, wenn sie den Bedürfnissen der Mieter gerecht werden sollen. Wir dokumentieren an dieser Stelle in Auszügen den Vortrag von Prof. Dr. Rolf Heinze, Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie, Arbeit und Wirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum und wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Wohnungswesen und Immobilienwirtschaft, Stadt und Regionalentwicklung. Prof. Heinze ist zudem Berater der Bundesregierung.

Prof. Dr. Rolf Heinze: „Generelle Umbrüche in der Wirtschaftslandschaft führen zu einem Reset des Quartiers.“

Die Betrachtung von Quartieren hat in der Stadtentwicklung und -planung eine lange Tradition, Städte wurden seit jeher in kleineren Einheiten organisiert. Mit der Industrialisierung ging jedoch eine Funktionstrennung von Wohnen und Arbeiten einher, die breite Teile der Bevölkerung ergriff. Quartiere wurden zu Wohnquartieren. Mit dem demografischen Wandel und sich deutlich abzeichnenden gesellschaftlichen Veränderungen sowie vor dem Hintergrund der in den Industrieländern unterschiedlich verlaufenden wirtschaftlichen Entwicklungen stehen viele Quartiere vor großen Herausforderungen.

Orte vernetzter Politik

Generell nehmen die sozialräumlichen Differenzierungen zu und Quartiere entwickeln sich unterschiedlich. Einige boomen (zurzeit etwa „Kreativquartiere“), andere haben ihren hohen sozialen Status erhalten oder zeigen problematische Entwicklungsprozesse. Soziale Probleme überlagern sich, die Gebäudesubstanz wird vernachlässigt. So entstehen insbesondere in ökonomisch schlecht gestellten Großstädten Verarmungsviertel. Von der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, die jahrelang als Leitbild der Stadtentwicklung gelebt wurde, bleibt in manchen Regionen nicht mehr viel übrig. Die Stadtplanung versucht seit den 1980er Jahren darauf mithilfe integrierter Konzepte zu reagieren. In den „Soziale Stadt-Programmen“ fanden sie ihre Entsprechung in der Förderkulisse des Bundes. Viele Quartiere durchliefen diese Programme, ohne dass die Probleme vollständig gelöst werden konnten.

Seit Jahren verändern sich grundlegend die wohn- und stadtpolitischen Schwerpunktsetzungen. Das Quartier gewinnt als neuer „Ort“ für vernetzte Politik (etwa im altengerechten Wohnen und der Pflege, bei der Energieversorgung oder der urbanen Mobilität) an Bedeutung. Aber auch generelle Umbrüche in der Wirtschaftslandschaft führen zu einem „Reset“ des Quartiers. Generell erfordern die neuen Herausforderungen etwa im Feld Energieeffizienz, integrierte Gesundheitsversorgung oder integrierte Mobilitätskonzepte einerseits branchenübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, anderseits eine starke Quartiersorientierung. Die Wahrnehmung der Menschen unterstützt die Revitalisierung des Wohnquartiers: Menschen suchen Wohnstandorte nicht nach gesamtstädtischen oder regionalen Kennziffern aus, sondern nach der Situation vor Ort.

Optionen an den Schnittstellen

Der demografische Wandel und die Pluralisierung der Lebenswelten tragen maßgeblich dazu bei, dass sich die Wohnungswirtschaft stärker auf die Quartiersebene fokussiert. Diese Orientierung prägte das Handeln öffentlicher Wohnungsunternehmen schon länger, hat aber mit dem „Reset“ des Quartiers neue Bedeutung erlangt. Als entscheidender Faktor hat sich nämlich herausgestellt, dass das gesamte Wohnumfeld mit betrachtet werden muss. So gilt es etwa im Bereich „Wohnen im Alter“, Konzepte zu entwickeln, die die Anpassung des Wohnumfeldes, der quartiersbezogenen Infrastruktur sowie der Versorgung mit Einkaufs- und Dienstleistungsangeboten auf Stadtteilebene einschließen. Damit bieten sich Möglichkeiten für seniorengerechte Produkte auf dem Wohnungsmarkt, die für die Wirtschaft und soziale Dienstleistungsanbieter interessant sind und zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse Älterer beitragen.

Weitere Optionen ergeben sich an den Schnittstellen zwischen Wohnen, Gesundheit und Technik. Neue integrative Konzepte im Quartier sind für die zukünftige Versorgung von zentraler Bedeutung. Dabei ist für ein funktionierendes Gemeinwesen die Einbeziehung der Bewohner Voraussetzung. Die Stabilisierung der nachbarschaftlichen Strukturen muss mit baulicher Aufwertung einhergehen. Die Kooperation zwischen Bewohnern, Wohnungsunternehmen und lokaler Verwaltung sowie Stadtteileinrichtungen stellt die Basis für solidarisches Zusammenleben im Quartier dar. Oft gelingt dies nur, wen ein funktionsfähiges Quartiersmanagement aufgebaut wird, Kommunikationswege funktionieren, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten geregelt sind und der Wille zur Kooperation bei allen Akteuren erkennbar ist.

Engagement der Bewohner pflegen

Die Fokussierung auf integrierte, wohnquartiersbezogene Versorgungsstrukturen impliziert einen erheblichen politischen Handlungsbedarf, der auf den unterschiedlichen Ebenen des politischen Systems ansetzen muss. Nicht nur Kommunen und Wohnungswirtschaft müssen sich den Entwicklungen im Bereich der Haushaltsstrukturen und den Wohnwünschen der Menschen anpassen. In den letzten Jahren haben sich in Deutschland quartiersbezogene Netzwerke ausgebreitet. Oft starten sie themenbezogen, etwa die lokalen Bündnisse für Familien, und weiten dann die Aktivitäten weiter aus, zum Beispiel ins Feld der Pflege. In lokalen, wohnquartiersbezogenen Projekten kann man beispielsweise den Verbleib in der eigenen Wohnung ermöglichen – aber nur, wenn sowohl technische Assistenz als auch soziale Betreuung eingesetzt werden.

Hervorzuheben ist der „ansteckende“ Charakter lokaler Netzwerke, die eine Aktivierung des Bürgerengagements und der Generationenbeziehungen bewirken. Wenn man bedenkt, dass die ältere Generation noch in beachtlichem Maße ehrenamtlich aktiv ist und zusätzliche Potenziale für die Ausweitung dieses Engagements bestehen, dann zeigt sich ein zukunftsweisender Weg, um die Chancen des demografischen Wandels zu nutzen. Generell gilt es, das soziale Engagement der Bewohnerschaft zu pflegen und durch „Empowerment“ zu stärken. Wenn mehr und mehr Verantwortung für die Energieversorgung oder eine altengerechte Wohn- und Pflegeinfrastruktur direkt im Quartier verankert wird, werden auch Selbstorganisationskräfte geweckt, die eine Revitalisierung maßgeblich mittragen.

Das „Oldenburger Wohnforum“ ist eine Veranstaltung der GSG Oldenburg, initiiert und organisiert von Mediavanti. Es fand am 2. Juni zum zweiten Mal statt, das Thema lautete „Wir im Quartier – mehr als nur Wohnen“.

© Fotos: Andreas Burmann

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Redaktion Mediavanti

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